Liebe Lotte,
kennst du das Gefühl, unterbewusst latent auf der Suche nach etwas zu sein? Kennst du das, wenn du eine Person kennenlernst, und dann passiert sowas wie: die Person gefällt dir, es gibt eine Anziehung, (und dann vielleicht auch – aber nicht einmal unbedingt) eine geteilte Ebene von Humor, von Intellekt, von Interessen und Einstellung? Und da blitzt für eine winzige Sekunde ein Bild in deinem Kopf auf – wie das wohl wäre, diese Person deinen Freund:innen oder deiner Familie vorzustellen, wie ihr auf dem Wohnzimmerboden sitzt, zusammen lacht, tanzt – was auch immer auch in diesem Moment deine Sehnsüchte sind – du stellst sie dir mit dieser Person vor?
Ich fühle mich ertappt, wenn ich so denke. Von mir selbst, natürlich. (Kriegt sonst ja auch niemand mit.) Weil mich mein Selbstbild, mein mit feministischer Theorie gefütterter Kopf, der Intellekt und die Ratio meines Umfelds normalerweise dafür rügen, so zu denken. Vermute ich jedenfalls. Ich denke dabei nicht an Ehe im expliziten Sinne, aber die Gedanken, die ich meine, haben so etwas wie eine Note, die verdächtig nach „happily ever after“ schmeckt. Bin ich trotz meiner Überzeugungen von der Vorstellung getrieben, eines Tages „the One“ zu finden?
„Wen und wann man heiratet, bestimmt die Existenz jeder Frau, selbst dann, wenn sie gar nicht heiratet“. So schreibt es die Kolumnistin Teresa Bücker im Magazin der Süddeutschen. Auf einer theoretischen Ebene habe ich die Hollywood-Romance Version meines Lebens glücklicherweise längst verbannt. Ich bin eigentlich okay damit, wenn mein Leben nicht den gesellschaftlich vorgelebten und staatlich begünstigten Zukunftsvorschlägen entspricht, die sich für Frauen klassischerweise so zusammenfassen lassen: „Um glücklich zu sein, muss ich eines Tages (einen Mann) heiraten. Ich werde meiner Rolle gerecht, wenn ich Kinder großziehe. Und zwar bitte mit ältestens 35“.
Nun nähere ich mich allmählich dieser zeitlichen Marke. Und ich habe den Eindruck, dass nicht nur mir diese Gedanken durch den Kopf gehen, sondern dass auch viele meiner Freund:innen zumindest ab und an die Hosen voll haben. Und zwar davor, dass sie die Leiter, die als sogenannte „relationship escalade“ bezeichnet wird, nicht aufsteigen können. Der Begriff meint den typischen Verlauf einer Hetero-Beziehung: Flirten, Sex haben, schwanger werden, Wohnung mieten, Konto teilen, Kinder erziehen, arbeiten, sterben. (Das ist die ge-remasterte Version von 2020 – Ehe kann man ja seit ein paar Jahren (vor oder nach dem Teil mit dem Sex) je nach Geschmack einsetzen oder weglassen.)
Neulich habe ich in Sibylle Bergs Debüt „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ die folgenden Sätze gelesen: „Warum ist es so, daß man sich in die wenigsten Menschen verlieben kann, fragt Bettina ihre Freundin. Und Vera sagt: Das ist so, weil wir uns nie in Menschen verlieben, sondern in komplizierte Ideen“.
Und da war ich so: Sind wir überhaupt in der Lage, Menschen zu sehen? Und zu lieben, wie und wer und was sie sind? Blockiert die Suche nach „bis dass der Tod uns scheidet“ nicht das eigentliche? Hinter all dem steckt doch ein Sicherheitsbedürfnis. Das völlig legitim ist, finde ich, schon deshalb, weil es in einer höchst verunsichernden Welt verankert ist, die sich durch prekäre Arbeitsverhältnisse, befristete Verträge, Big Data und undurchschaubare Konflikte auszeichnet. Ich finde aber die Antwort, die uns eine komische Allianz aus Kirche, Staat und Kapitalismus auf dieses Bedürfnis hin vorschlägt, ziemlich unbefriedigend.
Viele meiner Freund:innen sind verpartnert, ein paar davon kriegen Kinder, ein paar wenige sind verheiratet. Ich will niemandem vorwerfen, sich die Lebensumstände zu schaffen, die sie sich wünschen – und das kann Kinder genau wie eine vertraglich oder spirituell geregelte Bindung einschließen. Ehrlich, gönnt euch. Aber ich beobachte auch ein zum Nebenschauplatz degradiertes Phänomen: nämlich wie sich besonders „Single“-Frauen 30 aufwärts wie Verliererinnen fühlen. Sie suchen den Fehler bei sich, zweifeln an ihren körperlichen, geistigen oder charakterlichen Fähigkeiten und drücken sich selbst den Stempel „ungenügend“ auf.
Wie wäre es denn, wenn wir aufhören würden, die Sehnsucht nach Sicherheit und Verbundenheit als etwas Rückständiges zu verurteilen und erlauben, die damit verbundenen Ängste offen auszusprechen? Im vorhin erwähnten Artikel von Teresa Bücker fragt sie die Lesenden zum Schluss: „Warum denken wir uns nicht ein neues Bündnis aus, das die Menschen, die füreinander da sein wollen, in den Mittelpunkt stellt?“ Bücker spricht von einem Alternativbündnis für die Ehe. Ich finde, die Sache lässt sich weiterdenken. Und zwar , indem vielleicht aus privaten Beziehungspersonen „Verbündete“ werden.
Die Autorin Johanna Montanari sieht in der Benennung von Freund:innen als „Verbündete“ ein kämpferisches, vereinendes Potential. Eine Benennung, die Widerständigkeit gegen das vorgezeichnete Liebes- und Familienmodell ermöglicht, aber auch gegen die vorherrschende Marktlogik, die uns immer genau dann den Begriff „Eigenverantwortung“ zuflüstert, wenn wir vermeintlich gescheitert sind.
Zurück zu den Bündnissen. Ich würde mir nicht ein neues, sondern eine größere Vielfalt an Bündnissen wünschen. Offenheit in Bezug auf die Frage, wie sich Beziehungen gestalten können, führt vermutlich durch ne zusätzliche Menge Aushandlung und Konflikt. Aber ich bin sicher, in diesen Aushandlungen stecken mögliche Antworten auf der Suche nach Sicherheit. Mit Sicherheit meine ich die Gewissheit darin, dass frau als Person auch dann noch das Recht auf ein Bedürfnis nach körperlicher und emotionaler Nähe oder Unterstützung in beruflichen und lebensweltlichen Fragen hat, und auch dann noch ein gesellschaftliches Existenzrecht, wenn sie traditionelle Wege ablehnt oder sie nicht gehen kann. Warum also denken wir nicht als Netze aus Verbündeten – romantische Beziehungen mit eingeschlossen -, die stützen und sich gegenseitig ermöglichen, den Blick zu öffnen für die Menschen, mit denen wir tatsächlich in Beziehung stehen, statt irgendwelchen verschimmelten Vorstellungen Macht über unsere Bedürfnisse zu geben?
Die genauen Antworten sind glaube ich individuell und bedeuten viel Trial & Error. Ob Kommunismus oder Polyamorie – zunächst verbindet doch aber die Suche nach Unterstützung und Räumen, in denen dieses Bedürfnis teil- und zeigbar wird. Ich möchte nicht meinen Single-Freund:innen dabei zusehen müssen, wie sie sich selbst herabstufen und in Zweifel ziehen, wenn sie keine romantische Zweierberziehung eingehen wollen oder können oder in Aussicht haben; wenn sie keine Kinder bekommen können oder wollen. Ich will sagen dürfen, dass ich ein Wesen mit emotionalen und sexuellen Bedürfnissen bin, dass ich manchmal Geldsorgen habe oder Zukunftsängste, dass mich meine Erwerbsarbeit hin und wieder überfordert und dass ich gern ein Zuhause habe, das mir Schutz bietet. Und das geht nur mit Verbündeten, mit denen sich die gesellschaftlichen Umstände einerseits außerhalb der heiligen Kleinfamilie aushalten und andererseits und vor allem gemeinsam ändern lassen.
Deine Mara