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19.01.2020 // Neues Jahr, alter Abfuck

Liebe Mara,

vor einer Woche kam eine Strg_F-Doku zu versteckten Kameras auf Toiletten raus. Sie zeigte, wie Pornoseiten hunderte Videos von Frauen bereit halten, die ohne ihr Wissen auf dem Klo gefilmt wurden. Das kann auf öffentlichen Toiletten passieren, aber auch Videos von Freundinnen, Bekannten und Ex-Partnerinnen werden von Spannern ins Netz gestellt. Einer der beiden in der Doku beleuchteten Fälle war das Festival „Monis Rache“, auf dem mindestens in den Jahren 2016 und 2018 Kameras auf den Dixies versteckt waren, dort entstandene Aufnahmen weiblicher Festivalbesucher*innen fanden sich danach im Netz wieder.

Diese jetzt bekannt gewordenen Vorfälle beschäftigen mich seitdem aus unterschiedlichen Gründen. Zunächst verdeutlichen sie die technischen Möglichkeiten, mit denen wir heutzutage konfrontiert sind. Kameras sind inzwischen so klein, dass sie in den Kopf einer Schraube passen! Unmöglich, sie ohne entsprechendes Wissen und Equipment zu entdecken. Darüber hinaus stellen sie natürlich mal wieder die Frage nach der Sicherheit und Selbstbestimmtheit als weiblich gelesener Menschen in unserer Gesellschaft. Beziehungsweise, eigentlich stellen sie die Frage nicht, sie beantworten sie. Besonders ernüchternd ist dabei aber der Hintergrund der Videos von „Monis Rache“ – der Täter ist Teil der sich als links verstehenden und kollektiv organisierten Festival Crew. Die wusste bereits seit September von den Videos, hielt es aber nicht für notwendig, an die Öffentlichkeit zu gehen und potentiell Betroffene zu informieren. Bis heute fehlt eine richtige Stellungnahme.

Viel Abfuck also. Die Existenz voyeuristischer und mainstream-pornographischer Praktiken, deren Grundlage die Degradierung von Frauen ist; die Tatsache, dass auch vermeintlich emanzipatorische Räume kein safe space sind; der Umgang mit Sexismus, sexualisierter Gewalt und Übergriffigkeit in linken Strukturen…was mich aber am meisten schockiert, ist meine erste Reaktion auf die Veröffentlichungen. Alles, was ich mir dachte, war: „Okay.“. Ich hatte auch vorher schon von der Existenz voyeuristischer Videos von öffentlichen Toiletten gehört. Jedes Mal, wenn ich auf der Autobahnraste aufs Klo gehe, schaue ich an die Decke und in die Ecken und suche nach potentiellen Kameras. Ich weiß, dass ich sie wahrscheinlich nicht entdecken würde und entscheide mich für ein resigniertes „so what…“. Und so überraschten mich die Videos von „Monis Rache“ erstmal nicht. Festivals sind halt doch nur ein kleines Abbild der Gesellschaft und auch die linke Szene kennt Macker nur zu gut. Aber kann das Thema damit wirklich erledigt sein? Inzwischen glaube ich, dass das eine Schutzreaktion war. Denn wenn ich mir das komplette Ausmaß voyeuristischer Praktiken und technischer Möglichkeiten bewusst machen würde, wären die Konsequenzen unerträglich.

In der Kneipe, auf Festivals, in jeglichen Umkleiden, in WGs…überall müsste ich eine potentielle Bedrohung meiner Selbstbestimmung vermuten. Ich müsste den voyeuristischen Blick auf meinen eigenen Körper internalisieren, eine konstante (Selbst-)Beobachtung, die mich als potentielles Sexual- und Machtobjekt begreift und meinen Körper anhand sexistischer Kritierien kategorisiert und bewertet. Ich habe viele Jahre gebraucht, um diesen Blick in mir zu entdecken und ihm den Kampf anzusagen, und ich möchte mich nicht wieder von ihm einnehmen lassen.

Liebe Mara, Vorfälle wie diese machen eine super perfide Ambivalenz sichtbar, der Frauen in unserer patriarchal-sexistisch strukturierten Gesellschaft ausgesetzt sind. Diese Ambivalenz bedeutet, dass ich mir auf der einen Seite der Existenz von Spannern, Pick-Up Artists, Sexisten usw. bewusst bin und bewusst sein muss. Ich kann es mir nicht erlauben, vollkommen naiv durch die Welt zu laufen, wenn ich mich vor übergriffigem Verhalten schützen möchte. Gleichzeitig möchte ich offen bleiben für Menschen und spontane Begegnungen, möchte einen Vertrauensvorschuss geben können und nicht mit Scheuklappen durch die Welt laufen. Diese Herausforderung betrifft nicht nur Frauen, und manche Frauen betrifft sie doppelt. Rassismus, Homophobie, Antisemitismus…alles alltäglich, alles präsent. Aber wie damit umgehen?

Für mich bedeutet das im Fall von „Monis Rache“, schockiert sein zu dürfen. Ja, ich weiß um sexistische und voyeuristische Praktiken. Und ja, ich weiß dass auch linke Strukturen davon betroffen sind. Aber das bedeutet noch lange nicht, das als selbstverständlich hinzunehmen. Es ist wichtig, Verletzung zu spüren und Empörung zuzulassen. Erst dann können wir wütend werden, uns zusammentun, und vielleicht beim nächsten Mal den dummen Spruch des Antifa-Mackers nicht unkommentiert lassen. Denn auch das hat der Fall „Monis Rache“ gezeigt: es gibt Handlungsmöglichkeiten. Inzwischen haben sich mehrere selbstorganisierte Supportgruppen für Betroffene gegründet, die gemeinsam aufarbeiten, Anzeige stellen und Protest organisieren. Eine Freundin von mir ist Teil einer solchen Gruppe. Nach dem letzten Treffen schickte sie mir eine Sprachnachricht: „Der hat sich die Falschen ausgesucht!“

Liebst,

Lotte

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