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Montag, 3.6.2019 // hairy shit II

Liebe Lotte,

neulich habe ich dir von meinem Ärger über Typen erzählt, die sich dazu berechtigt fühlen, mir ihre „persönliche“ Meinung dazu aufzudrücken, was sie an „Frauen generell“ schön finden – schöner, so meine Interpretation, meinte in der Geschichte, dass Frauen möglichst weiblich auszusehen haben, indem sie den Schönheitsstandards entsprechen, die Männer über Jahrhunderte für sie festgelegt haben: das Beispiel war lange Haare.

Natürlich gilt das so einfach nicht (mehr). Spätestens seit den 50ern sind Kurzhaarschnitte bei Frauen in Mode gekommen, in den späten 60ern war es innerhalb der Hippie-Bewegung zumindest schick, sich dagegen zu widersetzen: zum Beispiel auch unter Männern, die sich à la Langhans die Zotteln haben sprießen lassen. Nun könnte man, wenn man sich mal umsieht, meinen, da hat sich in vergangenen Jahren weiter einiges getan. Es gibt Frauen, die sich in den digitalen Netzwerken selbst ermächtigen, indem sie zu ihrem Bartwuchs stehen, ihr Achselhaare quietschebunt färben oder Beinhaare um ihre Waden ranken lassen. Zumindest in den Metropolen scheint auch die Kahlrasur auf weiblichen Köpfen längst nicht mehr ungewöhnlich – auch die Modeindustrie wirbt mit den asketisch-militärisch wirkenden Häuptern bübisch anmutender, junger, dürrer Frauen.

Wo ist dann mein Problem? (Denn siehe da, ich habe eins!) Es gibt unzählige Artikel darüber, wie die Akzeptanz von Körperhaaren geschlechtermäßig diskriminierend verläuft – das geht von einzelnen Haaren an den großen Zehen bis hoch zu den Augenbrauen. Waxen, epilieren, pflücken, ziehen, schneiden, rasieren, dauerhaft entfernen, oder mit Creme bleichen. Scheinen alles Vokabeln zu sein, die für den durchschnittlichen Hetero-cis-Mann keine große Relevanz haben. Die Diskussion darüber, dass das problematisch ist, findet also zumindest mal statt.

Die Rasur am weiblichen Körper ist deshalb problematisch, heißt es da an vielen Stellen, weil sie eine Jugend suggeriert, die nicht vorhanden ist – die sexualisierende Nacktheit und Glattheit, die in den meisten Fällen nur ein kindlicher Körper vorweisen kann. Und hier will ich einhaken. Denn dazu passt die These einer Autorin, deren Interview ich vor Kurzem gehört habe.

Sie sagt, ihre persönliche Strategie, das Patriarchat zum Wanken zu bringen, sei: nur noch jüngere Männer zu daten. Sie zeigt anhand von Statistiken, wie die Attraktivität zwischen Heteropaaren bzw. heterosexuellen Menschen, die auf der Suche nach eine*r Partner*in sind, altersmäßig verteilt ist. Also welches Alter beim anderen Geschlecht jeweils als „am attraktivsten“ bewertet wird. Und das ist ehrlich ganz schön erschreckend.

Während die Daten der weiblichen Personen zeigen, dass sie sich grundsätzlich zu Männern in ihrem Alter hingezogen fühlen, mit ein, zwei Jahren mehr oder weniger, so sieht die Skala der durchschnittlichen männlichen Vorlieben ganz anders aus. Männer zwischen 20 und 30 finden Frauen attraktiv, die um die 20 sind. Männer zwischen 30 und 40 finden überwiegend Frauen attraktiv, die 20 sind. Männer zwischen 40 und 50 finden, achtuuuung….. Frauen attraktiv, die um die 20 sind. Weiter geht die Skala nicht, aber man kann sich mindestens zwei Dinge ausmalen: Was wären die Präferenzen bei den 50+ Leuten wohl? Und, noch etwas gruseliger: Das Alter 20 war das jüngste angebbare Alter. Was wären wohl die Antworten gewesen, hätten die Leute auch 18, 17, 16…als „attraktivstes Alter“ beim anderen Geschlecht angeben können? Pfui.

Wenn jemand also erzählt, das Babypopo-glatte Frauenbein, die nackten Achseln oder die freigelegte Vulva gefalle ihm (oder ihr) „persönlich“ einfach besser – wann ist das eine glaubwürdige Aussage? Wenn Männer zwischen 20 und 50 sich bis auf wenige Ausreißer im Schnitt einig sind, dass eine (maximal) 20 Jahre alte Frau die attraktivste Version eines weiblichen Lebens ist – was sagt das über Schönheit, Sexualität und Macht zumindest in der binären Geschlechterhierarchie aus?

Eine Spiegel-Online-Autorin fragt in einem Artikel zum Thema Haarwuchs: „…warum sollen Frauen untenrum nicht auch erwachsen aussehen?“. Ich denke: Warum lernen wir nicht, dass Menschen altern, verschieden sind, glatt oder behaart sind, und die Entscheidung für das eine oder andere (wenn es denn eine Entscheidung ist) darf sowohl individuell als auch nach spontaner Launer jede* und jeder ganz allein, für sich, und jederzeit neu, treffen?

 

Deine Mara

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