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Allgemein Identität Kennst du das? Macht Patriarchat Rassismus

Sonntag, 19.5.19 // Your silence won’t protect you

Liebe Mara, liebe Lotte,

Mir ging die titelgebende und wiederkehrende Frage in Euren Briefen durch den Kopf. Die Frage nach Unsicherheiten im Leben,

die für Verständnis werben will und Gefühle sowie Wahrnehmungen zu teilen hofft. Denn was sonst folgt auf „Kennst Du das,…?!“ als ein Versuch der Vergewisserung: bin ich mit meinem ‚Problem‘ alleine oder geht es auch anderen so? Geht es nicht auch anders? Oder, wie in Maras Brief neulich, was heißen eigentlich (Non-)Konformismus und Normen?

Als regelmäßiger Briefeleser dachte ich: Zeit eigene Unsicherheiten zu beleuchten. Geht es um intimere Themen wie Alltagsrassismus, Sex oder ganz allgemein Gedanken, die mich umtreiben, leite ich nicht so oft mit eben jenen Worten ein. Als Schwarze Person, hetero Cis-Mann anfang Dreißig, bin ich selten in einer Runde, in der diese Frage für mich Sinn macht, denn die meisten meiner Freund*innen sind weiße Menschen, daher nicht oder jedenfalls nur über Umwege von Formen des ach so wandlungsfähigen Rassismus direkt betroffen.

Gemeint sind Fragen wie, kennst Du das, wenn Du in einer ziemlich vollen Bahn fährst, sich Neuzusteigende lieber oftmals auf den letzten freien Platz im Vierer auf der anderer Seite quetschen als sich zu Dir, auf einen der drei freibleibenden Plätze, zu setzen? Kennst Du das, wenn Du Dich mal wieder fragst, ob Du nicht endlich die Idee eines Rassismus-Tagebuchs umsetzen solltest, es aber doch nicht tust, weil Du befürchtest, der persönliche Schaden wäre größer als sein Nutzen? Kennst Du das, über den exotisierenden Blick in vergangenen Beziehungen nachzudenken und ohne Antwort zurückgelassen zu werden, an das Gute im Menschen zu glauben, es war bestimmt nicht so? Kennst Du das, im Job diskriminierenden Bemerkungen und Kommentaren von Mitarbeitenden nicht die Stirn zu bieten, weil Dich die Sorge umtreibt als ‚empfindlich‘, ‚hypersensibel‘ oder anderweitig ‚weich‘ abgestempelt zu werden – und Du Dich kurz darauf über Dich selbst ärgerst es nicht mokiert zu haben? Kennst du das, Dich zu öffnen und Dir ‚Dr.‘ Backlash den Marsch bläst und erklärt „Reg Dich nicht so auf, der meint das nicht so“, mensch müsse das gelassener sehen?! Nein?

Ahma!

Wenn auf solche und ähnliche Fragen die Antworten ahnbar ‚Nein, kenne ich nicht.‘ lauten, so verfestigt sich bei mir nicht gerade die Strategie emsig weiter die Kenntnisse anderer Personen zu erfragen, selbst bei manchen Freundinnen* nicht. Ich brauche dann keine Diskussion um Worte und Verhaltensweisen, schon gar nicht irgendeine Korrektur, die mein Handeln und Denken kritisch hinterfragt. Über diese ungesunde Handhabung bin ich mir jedoch einigermaßen im Klaren. Doch gleichzeitig muss es auch darum gehen, Leute teilhaben zu lassen an für sie unbekannten Perspektiven, soziale Wirklichkeiten aufzeigen, die ansonsten unsichtbar bleiben sowie ihren Wissensstand und damit auch die Empathiefähigkeit zu erweitern. Als ein Schlüssel zu mehr Sensibilisierung, Empowerment und nicht zuletzt Solidarität. Ob ich das leisten will und kann, kommt ganz auf das Thema, meine Tagesform und mein Gegenüber an. Die Anforderung an sie*ihn lautet aktives Zuhören aka hush, darling! – bereits das kann so manche*n überfordern.

Deutsche Kackfragen

Den Umgekehrten Fall, sprich die Abfrage ‚migrantischen Wissens‘, gibt es selbstverständlich auch. Wenn Migrantisierten ein Expertinnen*status zugestanden wird, dann allenfalls in Migrationsfragen und zu ihrer eigenen Biografie. Doch das letzte Wort mögen die vermeintlich Autochthonen dann doch gern behalten, besonders wenn ihnen nicht nach der Meinung geredet wird. Wie viele Kackfragen mir zum Beispiel schon auf der A3 bei Mitfahrgelegenheiten gestellt wurden, kann ich nicht beziffern. Häufig genug waren das die Augenblicke, in denen ich schweigsam wurde, zum Buch griff oder zu rechnen begann, wie lange die Reise bei welcher Fahrgeschwindigkeit wohl noch dauern würde. Bei meiner vorletzten Fahrt hatte ich Glück und stieg in ein Auto in dem Schwarze Personen die Mehrheit bildeten. In über 10 Jahren Mitfahrerei das erste Mal! Es ist erwähnenswert, da wir recht schnell auf Alltagsrassismus zu sprechen kamen, jeder einen ‚Schwank‘ beizutragen hatte und die eine Nicht-Schwarze Person im Auto weitestgehend zum Zuhören verdonnert war. „Kennst Du das,…?“ hätte in der Runde zum geflügelten Wort werden können. Die Fahrt hätte in anderer Zusammensetzung (Schwarzer Personen) auch unangenehme Züge haben können, keine Frage: Internalisierung is a hell of a drug! Auseinandersetzungen mit und um Identität, Akzeptanz und Gleichbehandlung werden hierzulande, in Medien und Politik, dominant und lautstark von rechter sowie konservativer Seite besetzt. Während weite Interpretationen der Meinungsfreiheit die Pharmalobby des kleinen Mannes darstellen, muss sich Antidiskriminierung eher als eine Art selbstorganisiertes Orchideenfach behaupten. Momente, in denen ähnliche diskriminatorische Erfahrungshorizonte geteilt werden, sind daher lehr- und hilfreich für die eigene Wahrnehmung und Selbstversicherung. Momente wie bei dieser Fahrt sind es jedoch auch, die mir vor Augen führen, wie weiss diese mich umgebende Gesellschaft ist und das ich gewisse Denk- und Verhaltensweisen nur an den Tag lege, weil ich nun mal hier lebe[1]. Dieses Deutschland – postkolonial, postfaschistisch, postsozialistisch – färbt ab.

„Your silence will not protect you“

Simone Dede Ayivi, eine der grandiosen Autorinnen* des Essaybandes „Eure Heimat ist unser Albtraum“, betont in ihrem Beitrag die Kraft der Solidarität. Finden sich Menschen mit dem selben Anliegen zusammen, kann ein Umfeld geschaffen werden, das hilft über die individuelle (antirassistische und antisexistische) Leistung hinaus Überforderungsängste, Vereinzelung und andere Folgen aktivistischen Einzelhandels in positive Gefühle der Gemeinschaftlichkeit, des gemeinsamen Kampfes zu überführen: „Dann folgen auf Wut und Stress Entspannung und Zuversicht.“ Stress, der ansonsten im Körper bliebe. Max Czollek konstatiert in „Desintegriert Euch!“ einen gesellschaftlichen Energieerhaltungssatz:      „[…] Rassismus und Antirassismus [formieren sich] stets in gegenseitiger Bezugnahme.“ Was sich neckt,… Doch so pessimistisch Czolleks an dieser Stelle stimmen mag, für die alltäglichen, analogen Momente, in denen sich die großen Diskurse mikromeesish und sprachlich heruntergebrochen auf der Zeil, der Leipziger, in der U4, vor Türsteher*innen und ‚Security‘-Personen, im Rewe (vor dem True Fruits-Sortiment) oder in der Uni austragen, lohnt es sich an Ayivis Worte zu erinnern:      „Sobald eine zweite Person, eine Kraft von außen zu Hilfe kommt, interveniert – und sei es nur mit einem einzigen Wort – , drehen sich die Kräfteverhältnisse.

Danke Euch, liebe Mara, liebe Lotte, für Eure Stimmen im Kampf um die Umkehr der Verhältnisse.

Ich bin sehr dankbar um die Perspektiven, die ich mir teilweise lediglich über das Zuhören oder Lesen erschließen kann, da ich meine Dauerkarte zum Patriarchat qua Lotterie des Lebens gelöst (aber verbrannt) habe und auf manch Problemlage gestoßen werden muss, da sie mir nicht wie ein Stein (oder eine A3) im Weg liegt. Als Anstoss gegen Unsicherheiten im Leben und aus vielen anderen Gründen hat Audre Lorde, zu Lebzeiten sich selbst bezeichnend als ‚Schwarze, Lesbe, Mutter, Kriegerin und Poetin‘, das letzte Wort:

         „My silences had not protected me. Your silence will not protect you.“

Bleibt laut & alles Gute Euch,

B.

P.S.: Kennt Ihr das, die Überwindung zu Schreiben, Persönliches in die Tasten zu hauen und zu wissen, das steht jetzt da um gelesen zu werden? Missstand & Empowerment hin oder her – kennt ihr Eure Grenzen?

[1]Www.mmk.art/deWhats-on/weil-ich-nun-mal-hier-lebe, aktueller Titel der Ausstellung im MMK (Tower) Frankfurt

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