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Sonntag, 15.5.19 // hairy shit

Liebe Lotte,

es ist vielleicht ein Klischee, dass der Süden dieses Landes von einem gewissen Konservatismus geprägt ist. Die Hauptstadt des sogenannten Ländle, Stuttgart, gibt nun seit einigen Jahren zwar vor, grün zu sein; aber vielleicht haben die dort regierenden Grünen inzwischen auch einfach aufgehört, so zu tun, als seien sie progressiv. Schwäbisch, konservativ, ökologisch. Die Trias spiegelt sich nicht nur in der Politik. Schaffe, schaffe, Häusle baue. So lässt sich auch die protestantische Ethik der südlichen Bevölkerung auf das Thema Arbeit und Leben zusammenfassen.

Mir ist dort vor einer Weile aber noch ein ganz anderer Konservatismus begegnet. Ich war auf einer Geburtstagsfeier eingeladen, ein 30. sollte zelebriert werden. Wir haben im Park gegrillt, Musik gehört, Joints geraucht, Frisbee gespielt, Sekt getrunken. Irgendwann saß ich in einer ziemlich männlichen Runde mit dabei, Leute, die ich entfernt kannte, die ich soweit nett, offen und gesprächig fand. In Männerrunden zu sitzen hat sich für mich, soweit ich mich erinnern kann, immer ganz gut angefühlt – die flachen Witze, die unverfänglichen Themen, hitzige politische Diskussionen, die Joints und Bierdosen, die herumgereicht werden und das gelöste Lachen angetrunkener Boys hat mich schon immer irgendwie befreit. Vielleicht hat es sich für mich sogar manchmal wie ein Privileg angefühlt, mit aufgenommen zu sein, für kurze Zeit den Status „Weiblichkeit“ abzulegen oder ihn nicht als Hindernis zu empfinden, mitzublödeln, genauso viel trinken zu können, beleidigende, aber liebevolle Kommentare abzugeben, steile Thesen und nicht belegbares Halbwissen als Faktisches zu missbrauchen und den anderen in Diskussionen ins Wort fallen zu dürfen.

So meine Vorstellung, so meine Erfahrung, oft, glücklicherweise. Blöderweise zeigt sich außerhalb meines gewohnten, sensiblen Umfeldes leider immer wieder eine andere Realität. Denn auch in der Grillrunde wurde ich doch allzu schnell wieder an mein Geschlecht erinnert. Ich korrigiere mich: Nicht ich, sondern alle anderen sollten scheinbar daran erinnert werden, dass mein Geschlecht das ist, was mich bestimmt. Oder, noch treffender: Sie sollten sich wohl schleunigst erinnern, dass sie diejenigen sind, die über mein Geschlecht zu bestimmen haben, und welche Konsequenzen das für mich und mein Dasein hat.

Einer der Typen – Basketballshirt, Baseballcap und tiefe Stimme – schaute mich plötzlich intensiv an. Ich hatte mir wenige Wochen zuvor meine Haare vom Kopf rasiert, 6mm. Ich liebte es, es hatte mich befreit. So viele Dinge waren plötzlich so viel weniger lästig geworden: Duschen, Sport, Mütze tragen, ja, auch Sex. Alles war einfacher, ich mochte das Gefühl, mit der Handfläche über die Stoppeln zu fahren, ich hatte neue Lust am Schminken entdeckt, trug mehr Lippenstift, größere Ohrringe. Ich habe es genossen zu beobachten, wie ich plötzlich einem anderen Typ Mann aufzufallen schien, andere Typen Frauen* mich auf Partys angesprochen haben. Die Veränderung meines eigenen Typs hatte andere Blicke auf mich gezogen, meinen Kleidungsstil beeinflusst, ich hatte mich manchmal stärker, manchmal selbstbewusster, manchmal politisch positionierter gefühlt. Doch als mich der Baseballtyp etwas zu eindringlich ansah, wusste ich schon, welche Reaktion es diesmal sein würde. Die ungute Sorte der neuen Aufmerksamkeit.

„Warum hast du dir eigentlich die Haare geschnitten?“, fragte er. Zack. Alle Blicke in der eben noch so entspannten Runde ruhten plötzlich auf meinem nicht mehr vorhandenen Scheitel. Ich holte schon innerlich zum Gefecht aus, noch nicht sicher, ob ich mir ernsthaft die Mühe machen sollte, ihm meine Entscheidung zu erklären, ob ich mich schon auf die defensive Schiene vorbereiten sollte, parallel auslotend, ob sich der Rest der Runde irgendwie positionieren würde. Aber meine Gedanken zählten nicht, denn bevor ich zu einer Entscheidung kommen konnte, setzte er nach. Eine ehrliche Antwort schien er gar nicht abwarten zu wollen: „Mir persönlich gefallen ja Frauen mit langen Haaren besser“. Aha. Danke dafür, Vollidiot. „Zum Glück habe ich dich nicht um Erlaubnis gefragt, bevor ich mich für eine Frisur entschieden habe, Arschloch. Zum Glück weiß ich jetzt, was dir gefällt, denn das bereichert mein Leben ungemein, weißt du, und wenn ich jetzt weiß, was „dir persönlich“ am Besten gefällt an Frauen, dann kann ich jetzt dafür sorgen, dass ich nie wieder in dein Beuteschema passe“. Das waren in etwa die Antworten, die ich gern gegeben hätte. In Echtzeit ist mir leider nur ein wackeliges „Mir gefällts halt“ entfahren.

Kennst du das, wenn du dich fragst, warum manche Menschen ihre eigene Meinung so völlig falsch einschätzen? Und sie dir mit einer Selbstverständlichkeit unter die Nase reiben, als hättest du dein ganzes Leben voller Sehnsucht nur auf ihren Senf gewartet?

Ich frage mich das bis heute immer wieder, und ärgere mich aus vielerlei Gründen. Zum einen verleiht meine Wut besagtem Typen Macht, denke ich. Ich habe viel zu viel Zeit daran verschwendet, ihn durch eine so nichtige Bemerkung meinen Emotionshaushalt heranzulassen. Andererseits bin ich glücklich über meine Wut, denn diese Sorte Bemerkung ist eben nicht nichtig. Sie ist eine von tausenden, die mir Jahr und Tag weiß machen sollen, dass mein Körper nicht mir gehört, dass es meine Aufgabe ist, an ihm zu feilen und ihn in jene Norm zu pressen, die sich vom Maß der scheinbar ebenso genormten männlichen Begierde messen lässt. Es kotzt mich an, dass ein angetrunkener Typ, mit dem es meinerseits niemals zu einem Gefühl einer sexuellen Spannung, eines Flirts oder einer emotionalen, oder auch nur annähernd interessanten Unterhaltung gekommen war, ernsthaft glaubt, dass es mich interessieren könnte, was ihm denn „persönlich“ und generell an Frauen gefällt. Und irgendwie zu glauben scheint, es wäre angebracht, mir diese Information über einen Kommentar bezüglich meines Körpers zukommen zu lassen.

Kennst du das, wenn du dich fragst, wieso Menschen eigentlich glauben, sich selbst erklären und positionieren zu müssen, nur weil du etwas für dich getan hast?

Es ist ja nicht so, als hätten damals nur Vollidioten meine Frisur kommentiert. Eine alte Freundin sah mich zum ersten Mal nach der Rasur – und das Erste, was sie sagte, war: „Also meins wäre es nicht. Ich mag ja lange Haare an Frauen“. Als hätte ich sie mit meiner Frisur herausfordern wollen, provozieren, oder ihre schulterlangen, wunderschönen Haare irgendwie in Frage stellen wollen. Im Ernst, provozieren wollte ich damals maximal die traditionellen, weiblichen Schönheitsstandards, nicht meine Freundin. Ich wollte auch dem Baseballtypen nicht absprechen, dass er lange Haare gut finden darf.

Aber: Derlei Kommentare verfolgten mich in jenen Monaten permanent. Entweder meine Entscheidung wurde als „mutig“ betitelt, als „krass“, oder ich wurde gefragt, ob mir nicht kalt sei, immer wieder, ob mir nicht kalt sei. Werden eigentlich Männer mit kurzen Haaren auch ständig gefragt, ob sie frieren? (Würde mich über ein angebrachtes Feedback freuen).

Ich habe nichts gegen lange Haare, ich habe nichts gegen eine aktive Entscheidung für traditionelle Weiblichkeit. Ich spreche auch niemandem seinen oder ihren ganz eigenen Geschmack ab. Aber ich komme nicht umhin, mich zu fragen, wie eine simple Entscheidung für meine Kopf-Haar-Länge (von der Intim-, Bein- und Achselrasur mal ganz abgesehen) Menschen scheinbar derart zu provozieren scheint, meinen Körper in Frage zu stellen. Über den Umweg, dass mein Körper nun nicht mehr in ihr „persönliches“ Raster zu passen scheint, wird an mir Kritik geübt. Oder wird mein Körper als Plakette verwendet, um eine Gelegenheit zu schaffen, ihre „persönlichen“ Präferenzen äußern zu dürfen? Wie „persönlich“ sind diese Vorlieben? Allein schwäbisch sind sie jedenfalls bestimmt nicht.

Deine Mara

 

 

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