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Montag, 22.4.2019 // blutblutblut

Liebe Mara,

kennst du das, wenn du dich fürs Schwimmi oder den See verabredet hast, und auf einmal kriegst du deine Tage? Ich frag mich dann jedes Mal wieder, ob mein Körper mich eigentlich verarschen will. Wirklich, jetzt?! Und jedes Mal wieder frage ich mich für einen kurzen Moment auch, ob ich die Verabredung absagen soll. Oah, jetzt im Bikinihöschen rumlaufen und ins Wasser und die Leute und das Blut…Aber warum eigentlich?

Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich das erste Mal meine Tage bekommen habe. Ich war übers Wochenende bei meinem Vater, es war Sonntagnachmittag, als ich in meiner Unterhose einen bräunlich-roten Fleck entdeckte. Erst wollte ich es nicht wahrhaben, doch der Fleck wuchs und ließ sich nicht leugnen. Abends lag ich im Bett, wieder bei meiner Mutter, und erzählte ihr, was mein Körper getan hatte. Es fühlte sich an wie ein Geständnis, ich brach in Tränen aus. „So früh schon…“, sagte meine Mutter, und: „Da feiern wir ein Fest, ein Frauenfest!“.

Ich würde nicht behaupten, dass ich wirklich wusste, was Menstruation für mich bedeuten würde, aber Biologie- und Aufklärungsunterricht hatten mich nicht gänzlich unvorbereitet gelassen. Jede von uns war in der Schule mit einer Werbepackung Minitampons ausgestattet worden und wir hatten Vokabeln wie „Toxisches Schocksyndrom“ gelernt. Ich war nicht die Erste in meiner Klasse, auch meine beste Freundin hatte schon ihre Tage, und ich wusste, dass das wohl auch auf mich zukommen würde. Aber ich wollte nicht. So wie mein Kleiderschrank sich mit XXL-Shirts füllte, als meine Brüste anfingen zu wachsen, wollte ich jetzt meine Menstruation so unsichtbar wie möglich halten – außer vielleicht, wenn es in der Schule darum ging, nicht beim Sportunterricht mitmachen zu müssen. Ein Frauenfest war jedenfalls so ziemlich das letzte, was mir da so vorschwebte, und meine Mutter verfolgte die Idee zum Glück dann auch nicht weiter.

Ungefähr 1,5 Jahre nach dem ersten Blutfleck in meiner Unterhose begann ich, die Pille zu nehmen, damals war ich 14 Jahre alt. Von da an folgte meine Menstruation viele, viele Jahre lang brav dem idealtypischen 28-Tage-Zyklus, den das Medikament vorgab. Manchmal verlängerte ich den Zyklus, indem ich die Pille durchnahm, um meine Tage zu verschieben. Im Urlaub zu menstruieren beispielsweise kam mir vor wie Strafe, und meine Gynäkologin gab mir das medizinische „Go“. Wusstest du, dass die Pille ursprünglich ohne Einnahmepause und dementsprechend ohne Blutung konzipiert wurde? Es war die amerikanische Arzneimittelbehörde, die sich gefragt hat, ob Frauen ohne Monatsblutung eigentlich noch Frauen sind und dann sicherheitshalber auf die sogenannte Abbruchblutung bestanden hat.[1] Ich erinnere mich an Fetzen einer Unterhaltung mit meinem ersten Freund, in denen es darum ging, was ich während meiner Tage tun oder nicht tun könne. „Also, das ist ja keine Krankheit!“, warf ich irgendwann ein. „Naja…“, entgegnete er, „ein bisschen schon…“. Und so ganz sicher war ich mir selbst auch nicht. Die Menstruation störte mich eigentlich bei allem. Beim Sport, beim Schwimmen, beim Sex, kurz: beim Leben. Ich war ziemlich fassungslos, als mir mal jemand erzählte, seine Freundin freue sich immer über ihre Tage. Freuen?! Nichts lag mir ferner.

Das änderte sich irgendwann, als ich mit Anfang 20 die Pille absetzte. Irgendwann hatte es sich einfach nicht mehr richtig angefühlt, jeden Tag eine Hormontablette zu schlucken. Außerdem hatte ich eigentlich gar keine Lust mehr auf Sex, was zwar verhütungstechnisch ganz praktisch war, mir aber insgesamt schon zu denken gab. Es dauerte einige Monate, bis nach Jahren der Antibabypille meine Tage wieder von selbst einsetzten. Auf einmal bekam ich Angst – was wäre, wenn sie gar nicht mehr kommen würden? Was ich mir vorher gewünscht hatte, fühlte sich auf einmal bedrohlich an. Auch danach machte sich jedes Mal Erleichterung breit, wenn ich das Blut entdeckte. Puh, wieder eine Runde ohne Schwangerschaft geschafft…Die Blutung wurde zur Absicherung dafür, dass alles passt mit meinem Körper. Ich fing an, mir meinen Zyklus im Kalender zu notieren. Irgendwann merkte ich ein leichtes Ziehen im Unterleib während der Zeit des Eisprungs und bevor die Blutung einsetzte. Als ich das erste Mal mit einer Frau zusammenkam, kannte ich nicht nur meinen Zyklus ganz genau, sondern auch ihren – und ziemlich schnell waren wir synchron. (Ich hab’s übrigens überprüft, es gibt keine wissenschaftliche Bestätigung dafür, dass sich die Zyklen von menstruierenden besten Freund*innen, Mitbewohner*innen oder Partner*innen synchronisieren, auch wenn viele darauf schwören). Auch der Menstruationscup veränderte mein Verhältnis zur Blutung. Auf einmal wurde ich mit deren Materialität konfrontiert. Ich bekam mit, wie sich die Menge, Farbe und Konsistenz verändern und konnte ganz genau sehen, was mein Körper da eigentlich jeden Monat von sich gibt. Eigentlich ist es ja auch gar nicht in erster Linie Blut, das da austritt, sondern die Gebärmutterschleimhaut, die sich während des Zyklus aufgebaut hat. Aber Schleimhaut klingt irgendwie noch fieser als Blut, oder?

Heute fühlt sich meine Menstruation nicht mehr wie eine Strafe an. Nicht mein Körper ist das Problem, sondern die Blicke auf meinen Körper. Blicke wie der meiner Mutter zum Beispiel, die sagen: Jetzt bist du eine Frau. Aber auch der Blick einer jahrhundertelangen Tradition, den als weiblich verstandenen Körper als schwach, unberechenbar und irgendwie pfuibääh zu begreifen – und Menstruation als Beweis dafür.[2] Wenn ich nochmal an die Schwimmbadsituation vom Anfang denke, glaub ich, dass ich diesen Blick immer noch internalisiert hab. Warum will ich eigentlich nicht schwimmen gehen, wenn ich meine Tage hab? Wenn ich ehrlich bin, spricht an sich nichts dagegen. Was mich davon abhält, ist die Angst vor einem heraushängenden Tamponfaden, die Horrorvorstellung, auf einmal könnte sich eine Blutbahn mein Bein runterziehen, kurz: meine Menstruation könnte für andere Menschen sichtbar werden. Aber was ist daran eigentlich das Problem? Sie gehört zu meinem Körper-Sein dazu, so wie essen, schlafen, aufs Klo gehen – nicht mehr und nicht weniger.

Liebst,

Lotte

menstruation

 

[1] Das beschreibt zum Beispiel Paul B. Preciado in „Testo Junkie“ (b-books 2016)

[2] Sabine Hering und Gudrun Maierhof beschreiben zum Beispiel in „Die unpäßliche Frau: Sozialgeschichte der Menstruation und Hygiene“ (Mabuse 2002), was die Medizin sich in den letzten Jahrhunderten alles schon so über die Menstruation und den weiblichen Körper zusammengesponnen hat.

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