Liebe Lotte, liebe Mara,
lieben Dank für eure offenen Worte zum Sonntag. Als großer Fan des Genres der Leser*innenbriefe möchte ich euch gerne mal einen zukommen lassen. Oder viel mehr mit euch einige Gedanken teilen. Es sind Worte an einen ungeliebten Ersehnten, der sich mir in den letzten Wochen mal wieder besonders aufdrängte.
Lieber Penetrationssex,
fick dich! Im Ernst, lass mich in Ruhe! Du begleitest mich jetzt schon das halbe Leben.
Unzählbar mehr in Gedanken, Vorstellungen, Darstellungen als in Erfahrungen. Und das ist eines der größten Probleme, das ich mit dir habe.
Du presst dich in alles, immer, ständig, was mit nackter körperlicher Nähe mit anderen zu tun hat. Und überformst alles, was da sein könnte.
Du begegnetest mir zunächst als jugendliches, männliches Rumgeprolle: nageln, dübeln, stechen. Sex als trockene Handwerkerfantasie. Dann pornografische Exzesse: Schwanz in den Mund, in den Arsch, beides zugleich, ein Dritter dazu, immer noch härter, brutaler, schneller, schonungsloser, bis zum kotzen. Zum Kotzen!
Zuletzt warst du vor allem Teil meines Lebens als das, was vermeintlich fehlt und was ich darum mit allen erdenklichen Mitteln haben wollte.
Für die meisten bist du angeblich der Sex schlechthin. Ich aber kenne dich vor allem als König der falschen Versprechen, als Treiber von Leistung und Performance bis in die intimsten Tiefen hinein.
Du bist Katalysator von Versagen, von Angst. Für mich bist du viel zu oft der Keil zwischen Spiel und Ernst. Machtest und machst, dass ich gar nicht will oder nicht kann.
Ich weiß, Teile von dir können auch sehr schön sein. Etwas das nicht ich bin, ein fremder Teil, in mir, in meinem Körper — oder etwas von mir in Anderem: beides kann Lust unbeschreibbar steigern.
Ich will auch nicht leugnen, dass deine dominanten Teile und dass Erniedrigung und devote Hingabe auch meinen Körper beizeiten reizen. Manchmal so weit, dass ich auch begehre, was ich eigentlich nicht will, wozu Kopf und Vernunft nein sagen: abstoßend, widerlich.
Sicher weiß ich natürlich nicht, ob du das Problem bist, oder ich. Ist aber egal, hier geht es um mich *und* dich, und sicher ist: zusammen funktionieren wir nicht.
Warum? Ich glaube das Problem liegt darin, dass du *alles* sein willst und nicht einfach eins unter Vielem sein kannst. Dass du beanspruchst der Taktgeber, das Zentrum, gar der Indikator dafür zu sein, was echter Sex ist und was nicht.
Aber wenn mein Körper nicht einstecken will oder nicht reinstecken kann — darf ich dann trotzdem „echten“ Sex haben? Was ist das überhaupt?
Liebe Mara, vor einiger Zeit fragtest du einige Leute, was Sex für sie sei. Und den Duden. Heraus kam die Kluft, um die es mir geht. Sex, sagt das Buch, ist Penetration und Orgasmus. Sex, sagen die anderen, ist vieles, polymorphpervers. Penetration, also in verschiedenen Formen ineinander einzudringen, gehört sicherlich bei vielen dazu. Aber eben als ein Teil von Sex — nicht als Synonym.
Ich frage mich: darfs nicht auch ohne? Musst du denn wirklich immer das Zentrum sein von Begehren und Lust? Braucht Sex Dauererrektion und Penetration in vorgegebenen Bahnen?
Ich glaube nicht. Wenn’s Spaß macht — also wirklich einfach Freude bereitet und nicht den Horizont der Erwartungen im Bett definiert — na klar: go for it. Ich bin dabei! Aber bitte als *eine* Praxis, in einer Reihe mit den vielen anderen: berühren, streicheln, küssen; lecken, saugen, reiben; kratzen, klopfen, pressen, und ja: eindringen.
Also bitte, bitte, Penetrationssex lass mich in Ruhe! Also du, als Konzept mit Alleinvertretungsanspruch. Als derjenige, der alles jenseits zum Vorspiel degradieren will.
Du bist nicht im Ansatz so geil, wie du denkst! Wenn du das akzeptierst, und wenn es auch diejenigen kapieren, zwischen die du dich drängst, dann finden wir bestimmt auch irgendwie zusammen. Dann freue ich mich, wenn du ab und an bei mir mit ins Bett hüpfst.
Bis dahin, lieblose Grüße an dich und herzallerliebste an euch, Mara und Lotte. Grüße von der Suche nach den konzeptlosen Körpern und Lüsten — vielleicht kennt ihr das?
euer Milan